Juristischer Beitrag
Verfasser:
Alexander Sternbeck, Rechtsanwalt bei LKC Grünwald
Nießbrauch oder Vor- und Nacherbschaft
Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat in einer erbrechtlichen Streitigkeit (Urt. v. 01.10.2024 – 14 U 144/23) eine wegweisende Entscheidung zur Abgrenzung zwischen Nießbrauchsvermächtnis und Vor- und Nacherbschaft getroffen. Der Fall betraf ein handschriftliches Testament einer verwitweten Erblasserin, das eine spätere Eheschließung und die gesetzliche Erbfolge berührte. Die Entscheidung zeigt, wie wichtig eine klare Gestaltung letztwilliger Verfügungen ist und wie der Wille des Erblassers ermittelt wird.
Streitfall:
Die Erblasserin, kinderlos, hatte 2011 ihrem damaligen Lebensgefährten testamentarisch ein Nutzungsrecht an ihrem Vermögen „solange er lebt“ eingeräumt. 2019 heiratete sie ihn, wodurch sein gesetzliches Erbrecht aktiviert wurde. Nach ihrem Tod 2020 kam es zu Streitigkeiten über die Auslegung des Testaments und die Nachlassverteilung. Die Nichte der Erblasserin, Klägerin, sah im Testament eine Vor- und Nacherbschaft zugunsten des Ehemanns und anschließend der Familie. Das Nachlassgericht setzte hingegen den Ehemann auf drei Viertel und die Klägerin sowie ihre Geschwister auf je ein Zwölftel des Nachlasses fest.
Das OLG Karlsruhe wies die Berufung der Klägerin ab. Es kam zu dem Schluss, dass weder Wortlaut noch Umstände eindeutig auf eine Vor- und Nacherbschaft hindeuten. Die Klägerin trage die Beweislast für eine solche Auslegung.
Entscheidungsgründe:
Der Wortlaut des Testaments ließ beide Interpretationen zu. Die Formulierung „Nutzungsrecht über mein Vermögen, solange er lebt“ deutet auf ein Nießbrauchsvermächtnis hin (§§ 2147, 1030 BGB). Eine Vor- und Nacherbschaft, bei der der Vorerbe Eigentümer wird, ist nicht zwingend an spezielle Formulierungen gebunden. Da die Erblasserin keine juristische Fachfrau war, ist eine unklare Formulierung nicht überraschend.
Auch außerhalb des Wortlauts sind die Umstände zu berücksichtigen. Die Zielsetzung, den Lebensgefährten zu versorgen, sei durch ein Nießbrauchsrecht ebenso erreichbar wie durch eine Vorerbschaft. Die spätere Heirat 2019 änderte die erbrechtliche Situation, doch die Erblasserin hatte das Testament nicht geändert, was auf ihren Willen zugunsten des Nießbrauchsvermächtnisses hindeutet.
Steuerliche Aspekte spielen eine wichtige Rolle bei der Auslegung. Eine Vor- und Nacherbschaft hätte zu erheblichen steuerlichen Nachteilen geführt, da die Erbschaft doppelt besteuert würde. Das steuerlich vorteilhaftere Nießbrauchsvermächtnis sei daher wahrscheinlich gewollt, zumal die Erblasserin über entsprechende Beratung verfügte.
Andere Hinweise auf eine Vor- und Nacherbschaft konnte die Klägerin nicht vorbringen. Ihre behaupteten Äußerungen gegenüber Verwandten wurden nicht ausreichend belegt und könnten auch nur familiäre Beschwichtigungen gewesen sein.
Das Gericht entschied, dass die gesetzliche Erbfolge gilt und das (zusätzliche) Nießbrauchsvermächtnis den Willen der Erblasserin besser widerspiegle. Es betonte die Bedeutung einer klaren Testamentsgestaltung, um Konflikte zu vermeiden.
Praxis:
Für eine eindeutige Vermögensnachfolge sollten letztwillige Verfügungen den tatsächlichen Willen des Erblassers klar zum Ausdruck bringen und steuerliche sowie familienrechtliche Aspekte berücksichtigen.
Wir unterstützen Sie gern dabei.
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