Juristischer Beitrag

Verfasser:
Alexander Sternbeck, Rechtsanwalt bei LKC Grünwald

Bei unklarer Erbeinsetzung ist nicht nur der Wille des Erblassers zu ergründen, sondern auch die Vermögensverteilung heranzuziehen.

Sachverhalt:

Der Beteiligte (Bet.) zu 5 beantragt einen Erbschein als Alleinerbe der Erblasserin und stützt sich auf das handschriftliche Testament vom 28.5.2008. Das Testament ordnet dem Bet. zu 5 das Haus und Grundstück zu; Bet. zu 2 erhält 20.000 EUR; Bet. zu 6 erhält 50.000 EUR; Bet. zu 3 erhält Barrengold und 100.000 EUR; übriges Barvermögen geht an Bet. zu 1; Schmuck wird nach einer Anlage verteilt. Die handschriftliche Anlage bestimmt, dass Bet. zu 2, 4 und 6 bestimmte Schmuckstücke erhalten. Das AG Moers gab dem Erbscheinantrag des Bet. zu 5 statt, wies aber den Beschwerdeweg zurück, was der Senat als rechtswidrig aufhob und zugunsten des Bet. zu 1 entschied, den Erbscheinantrag des Bet. zu 5 abzulehnen.

 

Entscheidung:

Bei der Testamentsauslegung geht es um den tatsächlichen Willen des Erblassers, nicht nur um den wörtlichen Text. Der Wille kann hinterfragt werden und äußere Umstände (außerhalb des Testaments) dürfen berücksichtigt werden. Es muss Hinweise im oder rund um das Testament geben, die den Willen erkennbar machen; fehlen sie, ist die Verfügung nichtig (§ 125 S. 1 BGB). Wenn der Wortlaut keinen klaren letzten Willen ergibt, kann eine Erbeinsetzung daraus abgeleitet werden, wenn der Erblasser Gegenstände oder Gruppen seines Vermögens bestimmten Bedachten zugewendet hat. Grundsätzlich gelten Zuwendungen als Vermächtnis (§ 2087 II BGB), doch bei abweichendem Willen kann die gesamte Verfügung anders gedeutet werden.

Die Auslegung berücksichtigt den gesamten Inhalt und äußere Umstände; oft spricht eine Verteilung des gesamten Nachlasses auf Einzelgegenstände/Gruppen dafür, dass bestimmte Personen zu Erben berufen sind. Aus der Verteilung kann sich ergeben, dass nur bestimmte Bedachte Erben sind, während andere Vermächtnisse erhalten. Die Erbeinsetzung nach Vermögensgruppen ist anerkannt. Erbquoten können anhand des wirtschaftlichen Wertverhältnisses der zugewandten Gegenstände im Verhältnis zum Gesamtnachlass ermittelt werden. Das kann kompliziert sein und führt nicht immer zu einer genauen Zuordnung von Bruchteilen, ist aber zulässig und rechtlich nicht fehlerhaft.

Nach diesen Rechtsgrundsätzen wurden Bet. 1 und 5 nicht als Alleinerben eingesetzt, sondern als Miterben mit unterschiedlichen Bruchteilen:

  • Das Testament vom 28.05.2008 verteilt das Gesamtvermögen i.H.v. ca. 1,76 Mio. EUR (Bank/Depot ca. 1,17 Mio., Haus ca. 545.000 EUR, Barrengold ca. 27.000 EUR, Schmuck etc.).
  • Die Formulierung „übriges Barvermögen“ bedeutet Geldvermögen, nicht nur Bargeld.
  • Allgemein deutet eine Verfügung über den Gesamtnachlass auf Erbeinsetzung hin.
  • Dem Wortlaut ist nicht eindeutig zu entnehmen, wer Erbe vs. Vermächtnisnehmer ist; die Bet. 2 wäre Erbin mit einem 1% Anteil, die Bet. 1 und 3 scheinen mit wesentlich kleineren Vermögensanteilen Vermächtnisnehmer zu sein – jedoch gibt es keine klare Abgrenzung nach dem Wortlaut.
  • Der Anknüpfungspunkt für die Beurteilung ist der Wert der zugewandten Gegenstände: Erben erhalten tendenziell größere Anteile.
  • Bei der Verteilung erhielten die Beteiligten 1–6 unterschiedliche Anteile.

Zentrale Zuweisungen:

  • Bet. 5: primär Hausgrundstück (545.000 EUR) und Depot (48.546 EUR) = ca. 593.546 EUR (~34%).
  • Bet. 2: 20.000 EUR + ein Drittel des Schmucks (~6.000 EUR).
  • Bet. 6: 50.000 EUR + anteiliger Schmuck (~6.000 EUR).
  • Bet. 3: Barrengold + weitere ca. 100.000 EUR (~7%).
  • Bet. 4: bestimmte Schmuckstücke (~6.000 EUR).
  • Bet. 1: übriges Barvermögen (Kern: Bargeld, Kontoguthaben, Depotguthaben) – ca. 972.000 EUR (~55%).
  • Bet. 1 (55%) und Bet. 5 (34%) erhalten den Großteil; Bet. 2–4 und Bet. 6 erhalten nur geringe Anteile (1–7%).

Die Textauslegung und die Verteilung des Vermögens legen nahe, dass eine Alleinerbschaft von Bet. 1 oder Bet. 5 nicht gegeben ist, sondern beide Miterben sind und die restlichen Beteiligten Vermächtnisnehmer.

 

Fazit:

Hat der Erblasser den überwiegenden Teil seines Nachlasses zwei Personen zugewandt, während auf weitere Bedachte nur weitaus geringere Nachlassanteile in Höhe von jeweils wenigen Prozent entfallen, sind die Letztgenannten als bloße Vermächtnisnehmer begünstigt und nicht als Erben berufen.

 

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Alexander Sternbeck

 

Beitrag vom 09.09.2025