Juristischer Beitrag

Verfasser:
Alexander Sternbeck, Rechtsanwalt bei LKC Grünwald
Dr. Raphael Wager, Rechtsanwalt bei LKC Grünwald

BFH: Nießbrauchsbewertung auf Grundlage des Geschlechts – verfassungskonform jedenfalls nach alter Rechtslage

Der BFH beschäftigt sich in seinem Urteil vom 20.11.2024 (II R 38/22) mit der Ermittlung des Kapitalwerts des Nießbrauchs im Zusammenhang mit der Erbschaft- und Schenkungsteuer.

Im vorliegenden Fall ging es um die Frage, ob es verfassungskonform ist, wenn bei der Ermittlung des Werts eines mit Nießbrauch belasteten GmbH-Anteils die unterschiedliche Lebenserwartung von Männern und Frauen, welche sich in den für die Berechnung des Nießbrauchswerts zugrunde zu legenden sog. Vervielfältigern niederschlägt, berücksichtigt wird.

Streitfall:

Der 74-jährige Kläger übertrug im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge einen GmbH-Anteil unter Nießbrauchsvorbehalt. Bei der Ermittlung des Kapitalwerts des Nießbrauchs zog das Finanzamt nach den gesetzlichen Vorgaben einen Vervielfältiger von 8,431 heran.

Der Kläger legte gegen die Berechnung des Nießbrauchs Einspruch ein und argumentierte, dass ein alternativer Vervielfältiger i.H.v. 9,509, der die genauere Sterberisikoentwicklung wiedergeben würde, heranzuziehen sei. Ferner rügte er die Anwendung geschlechtsspezifischer Sterbetafeln als Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz gem. Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG.

Ermittlung Nießbrauch:

Kapitalwert (§14 Abs. 1 BewG)
Der Jahreswert des Nießbrauchs wird mit einem gesetzlichen Vervielfältiger multipliziert. Der Vervielfältiger wird anhand der statistischen Sterbetafel des Statistischen Bundesamtes ermittelt.

Statistische Sterbetafel
Die Sterbetafel unterscheidet zwischen den Geschlechtern. Durch den Vervielfältiger wirkt sich die unterschiedliche Lebenserwartung zwischen Männern und Frauen maßgeblich auf den Kapitalwert eines lebenslangen Nießbrauchs aus; aufgrund der höheren Lebenserwartung von Frauen, fällt der ihnen zugunsten eingeräumte Nießbrauch wertmäßig höher aus als bei einem gleichaltrigen Mann. Je nach Konstellation ist die Steuerlast damit größer oder geringer.

Entscheidung BFH:

  • Die Heranziehung geschlechtsspezifischer Sterbetafeln sei zur Förderung des verfassungsrechtlichen gebotenen Regelungsziels, eine möglichst realitätsgerechte Bewertung lebenslänglicher Nutzungen und Leistungen für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer zu gewährleisten, geeignet und erforderlich, da die unterschiedlichen geschlechtsspezifischen Lebenserwartungen wesentlich für die Bewertung seien.
  • Eine geschlechtsneutrale Ermittlung sei unpräziser und führe zu einer ungenauen Besteuerung aufgrund verzerrter wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen.
  • Die aktuellen Sterbetafeln seien gesetzlich gem. § 14 Abs. 1 BewG heranzuziehen, wodurch alternative Sterbetafeln nicht zur Anwendung kommen dürfen.
  • Eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes sei nicht gegeben, da die Anwendung geschlechtsspezifischer Sterbetafeln sowohl auf sachlichen als auch statistischen Unterschieden zwischen den Geschlechtern beruhen und daher zu einer präziseren Aufteilung der Steuerlast führen würde.
  • Ferner könne nach § 14 Abs. 2 BewG der konkrete Einzelfall berücksichtigt und eine entsprechende Korrektur vorgenommen werden.

Nach Auffassung des BFH ist die Zugrundelegung von Sterbetafeln, die nach dem Geschlecht differenzieren, für die Rechtslage vor dem 01.11.2024 verfassungsgemäß. Geschlechtsspezifische Sterbetafeln seien sachdienlich, da sie eine präzisere Besteuerung und damit steuergerechte(re) Ergebnisse erzielen könnten.

Der BFH hat jedoch ausdrücklich keine Entscheidung darüber getroffen, ob aufgrund der neuen Rechtslage ab dem 01.11.2024 weiterhin geschlechtsspezifische Sterbetafeln zugrunde gelegt werden können oder nicht doch – vielmehr wie vom Gesetzgeber aufgrund der neuen Rechtslage infolge des sog. „Selbstbestimmungsgesetzes“ zum 01.11.2024 beabsichtigt – allein das selbstgewählte Geschlecht des Steuerpflichtigen für die Anwendung der Sterbetafel (Mann oder Frau) entscheidend sein soll.

Nicht zuletzt aus verfassungsrechtlichen Gründen ist davon auszugehen, dass für steuerliche Zwecke nach der neuen Rechtslage nicht mehr auf das biologische, sondern allein auf das selbstgewählte Geschlecht abgestellt werden muss, sodass sich hieraus verschiedene steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten ergeben, über die wir Sie gerne beraten.

Vertiefend zur neuen Rechtslage seit dem 01.11.2024